Grundlagen zum Erschließungsbeitragsrecht von "Vorhandenen Straßen"
Die erneute Erschließung von sog. Vorhandenen Erschließungsanlagen ist nicht zulässig. Die Frage, die sich hieraus ergibt, ist, was unter einer Vorhandenen Erschließungsanlage zu verstehen ist, für die nach den vormals geltenden Bestimmungen keine Beitragspflicht mehr entstehen kann ?
Diese Frage hat die Verwaltungsgerichte seit Einführung des Erschließungsbeitragsrechts in den preußischen Provinzen und auch in der Bundesrepublik wiederkehrend beschäftigt, und wurde durch drei beachtenswerte Grundsatzurteile des Bundesverwaltungsgerichtes einer Klärung zugeführt.
In dem ersten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 1964 wurde bestimmt, dass unter die vorhandenen Erschließungsanlagen auch die Vorhandenen Straßen im Sinne der ständigen Rechtsprechung zum Preußischen Fluchtliniengesetz fallen (BVerwG I C 88.63, Rdn. 9).
In einem weiteren Urteil vom 5. Oktober 1966 wird in dem Leitsatz nochmals bestätigt, das für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, auch nach dem Bundesbaugesetz kein Beitrag erhoben werden könne (BVerwG IV C 112.65). Es ist also für Straßen, die vor dem 29. Juni 1961 als öffentliche Straßen unterhalten wurden, zu prüfen, ob diese den Anforderungen des preußischen Fluchtliniengesetzes entsprachen.
In einem dritten Grundsatzurteil vom 26. Januar 1979 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass derjenige, der einen Verwaltungsakt durchführt, auch die hierfür erforderliche Feststellungs- oder Beweislast trägt (BVerwG 4 C 52.76). In Rdn. 13 des Urteils stellt das Gericht klar, dass die jeweils zuständige Behörde die Feststellungs- oder Beweislast für das Bestehen der Voraussetzungen ihres Eingriffsaktes trägt. Für Straßen, die vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes von einer Gemeinde als öffentliche Wege unterhalten wurden, ist also für den Fall, daß eine Straßenbaumaßnahme als Erschließungsmaßnahme klassifiziert werden soll, der Nachweis durch die öffentliche Verwaltung zu erbringen, dass diese gem. den damaligen Anforderungen nicht schon als erschlossen galt, es sich also um die Anlage einer neuen Straßen handelt.
Der sich aus den Grundsatzurteilen ergebene Leitsatz, dass eine öffentliche Straße nach den Kriterien des damaligen Rechts zu beurteilen sei, ist fundamental. Für die schon vor der Einführung des Bundesbaugesetzes vorhandenen Straßen in den ehemals preußischen Provinzen sind jene Kriterien zu prüfen, die durch das Fluchtliniengesetz aufgestellt und durch die ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes präzisiert wurden.
Überleitungsbestimmungen des Bundesbaugesetzes und Baugesetzbuches
Mit der Einführung des Bundesbaugesetzes im Jahre 1960, dem Vorgängergesetz des Baugesetzbuches, hat der Gesetzgeber die vormals geltenden Regelungen zum Erschließungsbeitragsrecht, u.a. das Preußische Fluchtliniengesetz, außer Kraft gesetzt. Er hat aber in der Überleitungsbestimmung im §. 180 Abs. 1 bestimmt, dass für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht aufgrund der bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, (…) auch nach diesem Gesetz kein Beitrag erhoben werden (kann). Diese Überleitungsvorschrift wurde in das Baugesetzbuch im §. 242 Abs. 2 entsprechend übernommen, indem festgelegt wurde, das für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, (…) auch nach diesem Gesetzbuch kein Beitrag erhoben werden (kann).
Das Preußische Fluchtliniengesetz vom 2. Juli 1875

In dem Preußischen Fluchtliniengesetz werden vier Sachgebiete geregelt, (I) das Verfahren zur Festsetzung der Fluchtlinien und deren rechtliche Bedeutung, (II) das Recht der Gemeinden und Städte durch Erlass von Anbauverboten die Bautätigkeit zu regulieren, (III) das Verfahren zur Enteignung der Grundbesitzer für den Fall, dass Grundeigentum in öffentliche Straßenflächen überführt wird, und (IV) die Umlage der Erschließungskosten auf die Grundeigentümer.
Von besonderer Bedeutung sind in der heutigen Zeit die Paragraphen §§. 12 und 15. Diese regeln das Anbauverbot sowie das Erschließungskostenbeitragsrecht.
Über den nachfolgenden Link gelanden Sie zu dem Gesetz, betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften (Preußisches Fluchtliniengesetz), veröffentlicht in der Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten Nr. 40 (1875) S. 561 - 566.
Reprint des Ersten Kommentars zum Preußischen Fluchtliniengesetz

Nehmen Sie einmal an, ihre Gemeinde teilt Ihnen mit, dass sie beabsichtige eine Grundinstandsetzung ihrer Straße durchzuführen. Mit dieser Baumaßnahme solle die Erstmalige Endgültige Herstellung ihrer Straße erzielt werden (eeh-Straße), da der bisherige Ausbauzustand nur ein provisorischer gewesen sei. Der überwiegende Teil der Kosten für die Baumaßnahme sei durch die Anlieger zu tragen. Sie fragen sich, warum nicht schon früher diese Straße formal erschlossen wurde, immerhin gebe es die Straße ja seit mehr als 70 Jahren, und ob es Rechtens sei die Kosten auf die Anlieger abzuwälzen.
Diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten. Für Straßen, die schon vor 1961 errichtet wurden, gelten die rechtlichen Anforderungen der damaligen Zeit, und für Straßen in den Gebieten der ehemals preußischen Provinzen die Anforderungen, die durch das Preußische Fluchtliniengesetz festgesetzt wurden. Welches sind aber die Bestimmungen, die durch das Gesetz vom 2. Juli 1875 festgelegt wurden?
Der Neudruck des ersten Kommentars zum Preußischen Fluchtliniengesetz von 1882 versucht genau diese Bestimmungen zu erläutern. Seit Einführung des Fluchtliniengesetzes ist es immer wieder zu Streitigkeiten, insbesondere auch hinsichtlich der Übernahme der Erschließungskosten durch die Anlieger gekommen. Dieses kleine Werk erläutert die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes und entwickelte sich zum Standartwerk bis zur Einführung des Bundesbaugesetzes für Alle, die sich mit diesem Gesetz auseinander zusetzen hatten. Es ist auch heute noch von immenser Bedeutung für die Klärung der Frage, ob eine Straße als eine Vorhandene oder Neue Straße einzustufen und ob für eine Straßenbaumaßnahme Erschließungskostenbeiträge erhoben werden dürfen.
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